Interview mit BH-Expertin Caroline Kratzsch

Der Richtige für mich!

Collage zum Thema BH

Paula Lambert, bekannt als Journalistin, Kolumnistin und Fernsehmoderatorin, kam im Auftrag von der Zeitschrift Freundin auf mich zu. Paula wollte gerne ein Interview mit mir, Caroline Kratzsch, als BH-Expertin führen.

Da wir uns schon öfter über das Thema unterhalten haben und ich sie in der Kabine beraten durfte, waren wir uns schon vertraut. Dieses spannende Gespräch zum Thema Busen und BH-Beratung können Sie im folgenden Artikel nachlesen.

Paula Lambert hat am 28. Juni Ihr neues Buch „Geh schon mal in dich, das Glück kommt dann nach.“ im Heyne-Verlag herausgebracht. Wir haben auch über eine mögliche Buchlesung bei KÖRPERNAH gesprochen. In Kürze erfahren Sie mehr...

Interview und Text: Paula Lambert veröffentlicht in der Freundin 14/2021 vom 16. Juni 2021:

Trotz der riesigen Auswahl: Einen tollen BH zu finden, der weder zwickt noch einschneidet, ist eine wahre Kunst und manchmal sogar eine Plage. Autorin Paula Lambert hadert bei jeder Anprobe mit ihren großen Brüsten. Wir haben sie zum Shoppen geschickt – bei Caroline Kratzsch, die seit mehr als 30 Jahren passende BHs verkauft.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ob Sie den richtigen BH tragen? Ich möchte fast wetten, ja. Ich zumindest habe jahrelang den falschen BH getragen – und das häufiger am Tag zu spüren bekommen. Zunächst mal zweifelte ich allerdings nicht am BH, sondern an mir. Seit ich denken kann, hadere ich mit meinen Brüsten. Erst wuchsen sie zu früh und die Jungs machten plötzlich merkwürdige Scherze. Später lernte ich – nicht sehr feministisch –, den Ausschnitt als Waffe einzusetzen, weil ein Dekolleté den Gedankenfluss von Männern unterbrechen kann. Seit der Geburt und dem Stillen zweier Kinder sind sie riesengroß und überall im Weg. Meine Brüste wiegen schwer, in jeder Hinsicht. Mittlerweile weiß ich: Ein gut sitzender BH ist so viel mehr als eine bequeme und zugleich schöne Verpackung. Er ist so etwas wie ein Transportmittel für das eigene Selbstbewusstsein. Wenn Sie das jetzt übertrieben finden, dann waren Sie noch nie bei einer Frau wie Caroline Kratzsch (56). Die Frau weiß so ziemlich alles über Büstenhalter, weil sie seit mehr als drei Jahr zehnten in ihren „Körpernah“-Läden in Berlin Kundinnen berät. Dabei sieht sie vieles, was viele vor anderen so sorgsam zu verbergen versuchten: die eigene Unsicherheit mit dem Körper, den kritischen Blick auf die eigene Brust. Wie in meinem Fall …

Frau Kratzsch, ich hadere mit meinen Brüsten. Bin ich ein Einzelfall? Leider nicht. Obwohl viele Frauen nach außen hin viel selbstbewusster und aufgeklärter wirken als noch in den 60ern und auch die Medien die Selbstliebe groß feiern, merke ich davon gar nichts, wenn ich die Frauen in der Kabine berate. Ganz im Gegenteil: Sie sind sogar kritischer mit sich selbst als je zuvor.

Woran liegt das, was glauben Sie? Soziale Medien wie Instagram fördern das ständige Vergleichen mit anderen. Zugleich tragen aber auch wir Frauen aus meiner Generation um die 50 dazu bei.

Inwiefern das denn? Wir akzeptieren das Alter schwer. Dieser Körperkult überträgt sich auch auf Jüngere und als Folge wird irgend einem fantasierten Idealbild der Brust nachgeeifert. Ich erlebe immer wieder vor allem junge Frauen, die ihre Brüste vergrößern wollen. Als ich Mitte 20 war, wollten viele noch Körbchengröße C.

Während wir reden, sucht Caroline Kratzsch BHs für mich heraus. Schon beim ersten Modell aus schwarzem Stoff, das ich anprobiere, merke ich eine wundersame Entlastung meines Schulterbereichs. Der klassische Schnitt scheint wie für mich gemacht.

Sie sehen viele Brüste. Wird man dadurch weniger streng mit sich selbst? Auf alle Fälle. Es würde uns allen guttun, wenn wir auch beim Busen unsere Individualität mehr schätzen würden. Es wäre so schön, wenn eine Kundin einfach mal sagen würde: „So bin ich und das ist okay so.“ Aber das erlebe ich sehr selten. Auch, dass diese Unsicherheit früh anfängt, meist bereits in der Pubertät, wenn im Sportunterricht plötzlich die Brust anfängt zu wackeln beim Laufen oder Springen. Dann werden die jungen Mädchen unsicher und fühlen sich von den anderen beobachtet.

Könnten Mütter da nicht helfen? Ich bin überzeugt, dass Mütter viel für ein positives Körpergefühl ihrer Töchter tun können. Etwa, indem sich Mütter selber in ihrem Körper wohlfühlen, statt über ein paar Kilos zu viel zu klagen. Ich wünschte mir auch, Mütter würden ihren Töchter beibringen, dass es bei BHs nicht nur um Optik geht. Sonst kommt häufig erst mit 30, wenn das Brustgewebe nachlässt, die große Erkenntnis, dass es sich lohnt, in ein Kleidungsstück zu investieren, das fast niemand sieht und das doch alles sichtbar macht. Und das damit entscheidend dazu beiträgt, sich im eigenen Körper wohlzufühlen.

Kann das ein guter BH echt leisten? Ja, kann er. Das erlebe ich immer wieder. Jeder Busen ist okay, so wie er ist. Das versuche ich, bei jeder Beratung zu vermitteln. Ein gut sitzender BH hat einen entscheidenden Einfluss auf die Psyche. Man fühlt sich anders, geht und steht besser, ist selbstbewusster.

Welchen Wunsch Ihrer Kundinnen kann denn auch der beste BH nicht erfüllen? Viele Kundinnen mit großer Oberweite, also ab D-Cup, wollen leichte, modische, sehr ausgeschnittene BHs mit Spaghettiträgern. Das funktioniert aber nicht. Solche Träger können das Gewicht unmöglich tragen. Je größer die Brust, desto wichtiger ist die Funktionalität eines BHs.

Was halten Sie vom Trend junger Frauen, sich vom BH zu befreien? Das hatten wir in den 70ern schon mal. Für kleine Brüste mag das funktionieren, aber wenn ich eine größere Oberweite habe, glaube ich nicht, dass Frauen sich ohne BH wohlfühlen. Und spätestens nach 20 Minuten Joggen ohne BH tut’s einfach weh.

Und was empfehlen Sie für Frauen mit kleinen Brüsten? Auch mit kleinerer Brust kann eine Frau festes oder weiches Gewebe haben. Beim Anpassen ist deshalb die Brustform genauso wichtig. Einen A-Cup zu haben, bedeutet nicht, dass jeder BH in dieser Größe sitzt.

Was macht einen guten BH aus? Ein guter BH ist immer eine Kombination aus Komfort, Funktionalität und Design.

Woran erkenne ich, dass ich einen guten BH trage? Ganz einfach: dass Sie ihn morgens anziehen und bis zum Ausziehen nicht mehr an ihn denken.

Wie findet eine Frau einen solchen Schatz? Ich empfehle den Gang ins Fachgeschäft. Der dritte anprobierte BH muss passen, sonst ist die Beratung nicht gut. Was kaum jemand weiß: Es gibt sage und schreibe 140 BH-Größen durch Unterbrustweiten und Körbchengrößen, dazu kommen noch die unterschiedlichen Schnittformen. 95 Prozent der Frauen, so erlebe ich es, sind darum beim Kauf des richtigen BHs ohne fachliche Beratung schlicht überfordert.

Kann das Internet bei der Suche nach dem perfekten BH helfen? Oft kommen Kundinnen und fragen nach einem ganz bestimmten Modell, das sie im Internet gesehen haben. Doch was an der Influencerin mit retouchierten Fotos oder Silikonbrüsten vielleicht sensationell aussieht, funktioniert noch lange nicht bei jeder Frau mit echten Brüsten. Auch wir haben übrigens einen virtuellen Showroom, in dem wir unsere Modelle präsentieren. Das dient der ersten Orientierung. Anprobiert werden muss dann aber im Laden mit Beratung.

Stimmt es eigentlich, dass ein guter BH unbedingt von Hand gewaschen werden muss? Es geht auch im Handwaschprogramm. Dazu den BH mit geschlossener Schließe ins Wäschenetz geben. Nicht schleudern und nicht etwa mit einer schweren Jeans waschen. Bitte keinen Weichspüler verwenden, damit leiert der BH aus.

Gibt es etwas, das Ihnen in Ihrem Job echt Kummer macht? Manchmal kommen Frauen zu mir und sagen: „Ich brauche etwas, das die Brüste verschwinden lässt.“ Das macht mich traurig. Ein guter BH kann so viel mehr …

Und wie um das Gesagte zu beweisen, hält mir Caroline Kratzsch jetzt einen BH hin, den ich nie im Leben selbst ausgewählt hätte: Tigerstreifen in Dunkelgrün mit neongelber Spitze. „Manchmal muss man Dinge ausprobieren, um zu wissen, dass sie gut sind“, sagt sie weise und wackelt lockend mit dem Kleiderbügel. Na gut. Ich probiere ihn an. Und was soll ich sagen, Frau Kratzsch hat ein Gespür für meine Brüste. Nicht nur, dass sie sich jetzt anfühlen, als wären sie im wahrsten Sinne des Wortes tragbar. Das von Kratzsch ausgesuchte Modell pimpt auf einen Schlag mein ganzes Outfit und meine Stimmung auf, von innen heraus sozusagen. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachte ich meine Brüste und denke nicht, dass sie zu viel sind und ständig im Weg. Ich denke: „So bin ich! Und das ist völlig okay so.“ Und hoffe, das bleibt auch so.

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